Nachrichten des HSGB

Trendwende? Immer mehr Menschen ziehen in Hessen aufs Land.

Mit einer Studie hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung im Auftrag der Hessischen Staatskanzlei demografische Wanderungsbewegungen in Hessen untersucht.

Gruppe von Menschen
© Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Laut der Studie haben knapp Dreiviertel der ländlichen Gemeinden mit einer Einwohnerzahl bis 5.000 Einwohnern im Vergleichszeitraum 2009 bis 2011 und 2019 bis 2021 Wanderungsgewinne verzeichnet. Auch die hessischen Kleinstädte erlebten laut Studie eine ähnliche Entwicklung. Wanderungsverluste müssen Großstädte wie Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden oder Kassel hinnehmen.

Ländliche Gemeinden gewannen durch Zuzüge bei gleichzeitigem Rückgang der Fortzüge Einwohnerinnen und Einwohner hinzu. Durchschnittlich lag der Wanderungssaldo pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner, also die Differenz zwischen Zu- und Abwanderung in einem festgelegten Zeitraum, in den Landgemeinden bei 3,8, in den kleinen Kleinstädten bei 4,8, bei den größeren Kleinstädten 4,3 pro 1.000 Einwohner/innen.

Zahl (beziehungsweise Anteil) der hessischen Gemeinden je Gemeindetyp mit positivem Wanderungssaldo und durchschnittlicher jährlicher Wanderungssaldo pro tausend Einwohner und Einwohnerinnen, 2009 bis 2011 und 2019 bis 2021

Stadt- und Gemeindetypen* 

2009-2011

2019-2021

Wanderungssaldo pro 1.000 Einwohner/Einwohnerinnen

Wanderungs-gewinner

Wanderungssaldo pro 1.000 Einwohner/Einwohnerinnen

Wanderungs-gewinner

Landgemeinden

-3,6

27 von 120 (23%)

3,8

89 von 120 (74%)

Kleine Kleinstädte

-1,6

46 von 133 (35%)

4,8

118 von 133 (88%)

Größere Kleinstädte

1,1

60 von 111 (54%)

4,3

92 von 111 (83%)

Mittelstädte

3,9

47 von 54 (87%)

4,1

44 von 54 (81%)

Großstädte

8,0

5 von 5 (100%)

-0,7

1 von 5 (20%)

 (Datengrundlage: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, BBSR)

*Abgrenzung nach BBSR: Landgemeinden umfassen Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Kleinstädte haben zwischen 5.000 und 20.000 Einw., unterteilt in kleine Kleinstädte (bis 10.000 Einw.) und größere Kleinstädten (bis 20.000 Einw.). Mittelstädte haben zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, Großstädte mind. 100.000 Einw..

Die Bevölkerung Hessens wächst insgesamt aufgrund des Zuzugs aus dem Ausland. In Landgemeinden ist der Außenwanderungssaldo, also die Differenz der Zu- und Abwanderungen über die Außengrenzen Deutschlands, zwischen den Zeiträumen 2009 bis 2011 und 2019 bis 2021 von 1,0 auf 1,9 gestiegen, in kleinen Kleinstädten von 1,0 auf 1,4.

Demografischer Wandel

Die Studie hat gezeigt, dass Menschen im Alter von 25 bis 29 Jahren die mobilste Altersgruppe in Hessen sind, gefolgt von den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren.

Mit steigendem Alter sinkt dann die Mobilität. Vor allem die Altersgruppe der 30 bis 49-jährigen mit minderjährigen Kindern sind für die Wanderungsgewinne in ländlichen Räumen in Hessen verantwortlich. Ein möglicher Erklärgrund ist, dass weniger Menschen zur Familiengründung in der Stadt bleiben und stattdessen häufiger mit ihrem Abschluss in der Tasche und der ersten Berufserfahrung aufs Land zurückkehren. Bei jüngeren Menschen, die aus Bildungsgründen ihre Gemeinde verlassen, oder aus beruflichen Gründen umziehen, besteht weiterhin der Trend, in den großstädtischen Raum zu ziehen. Aber auch hier gingen die Wanderungsverluste der Landgemeinde und Kleinstädte für den Zeitraum 2019 bis 2021 zurück.

Der verstärkte Zuzug von jungen Paaren und Familien mit ihren Kindern kann die rasche Alterung der Bevölkerung in vielen Dörfern und ländlichen Kleinstädten etwas abbremsen. Unter den zuziehenden ist fast jede 2. Person unter 30 Jahre alt. In der Gesamtbevölkerung in ländlichen Gemeinden ist es gerade mal jede 4. Person.

Kleine Gemeinden überholen die Großstädte

Bis vor kurzem gewannen die Großstädte Jahr für Jahr Einwohnerinnen und Einwohner durch Umzüge hinzu. Noch bis Mitte der 2010er Jahren galt, je kleiner die Gemeinde, desto niedriger der Wanderungssaldo. Seitdem haben sich aber die Bilanzen der kleineren und größeren Gemeinden Hessens weitgehend angeglichen. Ab 2017 stiegen insbesondere die Wanderungssalden der Landgemeinden und kleinere Städte an. Die Pandemie hat dieser Entwicklung einen kräftigen Schub verpasst. In den Jahren 2021 und 2022 verbuchten die Großstädte erstmals Wanderungsverluste.

Steigt der Wanderungssaldo heißt das jedoch nicht zwingend, dass mehr Menschen einer Gemeinde zugezogen sind. Die steigenden Wanderungssalden in hessischen Landgemeinden und Kleinstädten lagen zuletzt daran, dass ab 2017 weniger Menschen vom Land wegzogen sind und weniger daran, dass immer mehr dort hinwanderten. Die Großstädte wiederum zeichneten zuletzt geringe Wanderungsgewinne und neuerdings auch Verluste, weil weniger Menschen zuziehen.

Faktor Asyl

Die hohe Fluchtzuwanderung sorgte in allen Gemeindetypen für hohe Wanderungsgewinne. Durch die erhöhte Fluchtzuwanderung und anschließende Verteilung der Geflüchteten im ganzen Bundesland haben sich die Außenwanderungssalden von städtischen und ländlichen Regionen etwas angenähert.

Viele Zugewanderte ziehen dorthin, wo Familienmitglieder oder Bekannte bereits seit Längerem leben. Bei der Wahl des Wohnorts achten sie oft darauf, ob sie Anschluss haben und informelle Unterstützung bei organisatorischen Fragen bekommen. Geflüchtete haben wiederum meist wenig Einfluss auf den eigenen Wohnort nach ihrer Ankunft in Deutschland – viele müssen zunächst in zentrale Erstaufnahmeeinrichtungen ziehen und werden anschließend auf die Kommunen nach einem vorgegebenen Schlüssel verteilt. 

Die Pandemie hat Stadtfrust und Landlust verstärkt

Viele Menschen in der Stadt haben während der Pandemie ihre Wohnortwahl hinterfragt. Während der Lockdowns verloren die Städte an Attraktivität: Es gab keine Theatervorstellungen oder Konzerte mehr und Restaurants boten ihre Speisen nur noch zum Mitnehmen an. Die hohen Mieten, der fehlende Platz in der Wohnung und das verhältnismäßig geringe Angebot an zentralen Naherholungsflächen blieben.

Trotz vermehrten Zuzugs in die ländlichen Regionen, bleiben sehr große Unterschiede in der Altersstruktur zwischen den Gemeinden Hessens. Eine durchschnittliche Person aus der jüngsten Gemeinde Hessens, Gießen, ist mit 38,2 Jahren über ein Jahrzehnt jünger, als eine Person aus der ältesten Gemeinde Hessens, Grebenau im Vogelsbergkreis, mit 50 Jahren.

(HSGZ 7-8/2023) 

 Ländliche Räume im Aufwind | hessen.de

Wie sich das Wanderungsgeschehen in Hessen gewandelt hat

 

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat die Entwicklung von Wanderungsbewegungen gemeinsam mit der Wüstenrot Stiftung 2022 in dem Papier „Landlust neu vermessen. Wie sich das Wanderungsgeschehen in Deutschland gewandelt hat“ analysiert. Die bundesweite Analyse hat dabei nur einen flüchtigen Blick auf spezifische Entwicklungen in den verschiedenen Bundesländern geworfen.

 

Die von der Hessischen Staatskanzlei beim Berlin-Institut in Auftrag gegebene vertiefende Studie blickt nun detailliert darauf, wie sich das Wanderungsgeschehen in Hessen seit 2008 gewandelt hat.

Die Tabelle zur Entwicklung der Wanderungssaldi hessischer Gemeinden und Städte finden Sie hier: 

tabelle_entwicklung_wanderungssaldo_staedte_und_gemeinden_hessen