Der HSGB im Gespräch mit ....

Hier kommen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unserer Mitgliedskommunen zu Wort. Die Geschäftsführer des HSGB informieren sich vor Ort, um mit Bürgermeister/innen über aktuelle kommunalpolitische Themen zu sprechen.

Der HSGB im Gespräch mit ...

„Pädagogische Alltagshelfer/innen“ in Dietzenbach

In dieser Rubrik kommen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unserer Mitgliedskommunen zu Wort. Die Geschäftsführer des HSGB informieren sich vor Ort, um mit Bürgermeister/innen über aktuelle kommunalpolitische Themen zu sprechen. Ein (virtueller) Besuch in der Reihe führte Geschäftsführer Dr. DAVID RAUBER nach Dietzenbach.

Team
© Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

In der Kreisstadt Dietzenbach (Landkreis Offenbach) leben rund 35.000 Menschen, davon stammt fast ein Drittel aus mehr als 100 verschiedenen Nationen.  Dietzenbach ist aufgrund einer hohen Zahl von Kindern und Jugendlichen die jüngste Stadt in der Region. 24 Prozent der Einwohner/innen sind unter 21 Jahre alt, schildert Bürgermeister Dr. Dieter Lang. Dietzenbach sei damit landesweit eine besonders junge Stadt, erläutert Dr. Rauber. Während 2020 im Durchschnitt der kreisangehörigen Städte und Gemeinden 5,7% der Bevölkerung bis sechs Jahre alt waren, liegt der entsprechende Anteil in Dietzenbach bei 7,4%. „Das klingt nach nicht viel, bedeutet aber: Wäre der Bevölkerungsanteil unter sechs in Dietzenbach nur durchschnittlich, wären das fast 600 Kinder weniger“, so Dr. Rauber. Dietzenbach ist damit in Hessen die Stadt mit dem höchsten Anteil von Kindern unter 6 Jahren.

Dem „Kinderreichtum“ steht eine prekäre finanzielle Situation der Kreisstadt gegenüber. Es bedarf und bedurfte gewaltiger Anstrengungen, um ausreichend Kitas und Krippen zu errichten. Der Bürgermeister berichtet von einem Investitionsvolumen von 8 Millionen Euro für notwendige Neubauten in der Kindertagesbetreuung alleine in den letzten 4 Jahren. Neben der „Hardware“ stellen die entsprechenden Personalkräfte die Stadt vor großen Herausforderungen. Der Arbeitsmarkt für Erzieher/innen ist leergefegt. Zudem besteht eine Wettbewerbssituation im Ballungsraum, um die entsprechenden Fachkräfte zu halten und neue zu gewinnen. Dieses Problem hat Dietzenbach nicht allein. In ganz Hessen sind laut Dr. Rauber deutlich mehr Kinder zu betreuen: „Noch 2008 gingen alle Bevölkerungsprognosen davon aus, dass es in Hessen schon bis 2020 einen Rückgang der Kinderzahl unter 6 um über 5% geben würde. Tatsächlich wuchs die Zahl von 2008 bis 2020 landesweit um 15,5%.“

Die Kreisstadt betreibt 11 eigene Kitas und bietet aktuell 1142 Plätze. Wie bei vielen anderen Trägern war es in Dietzenbach nicht möglich, trotz großer Anstrengungen in den Bereichen Akquise und Ausbildung, ausreichend Fachkräfte zu rekrutieren. Eine Änderung dieser Situation kann in den nächsten Jahren nicht erwartet werden.

Vor diesem Hintergrund nutzte die Kreisstadt die, durch die Verordnung zur Bekämpfung des Coronavirus, eröffnete Möglichkeit mit insgesamt 42 Personen ein befristetes Beschäftigungsverhältnis als pädagogische Mitarbeiterin ohne Fachkraftstatus (pädagogische Alltagshelfer/innen) zu begründen.

„Es war uns dadurch möglich, personalbedingte Einschränkungen der Öffnungszeiten weitgehend zu vermeiden und den Rechtsanspruch über weite Strecken einzulösen“, betont der Bürgermeister. „Der Einsatz dieser Personen wurde von den Leitungen, Fachkräften und Eltern durchweg positiv beurteilt. Die Entlastung der angespannten Personalsituation hat nach übereinstimmender Beobachtung auch zu einer Steigerung der Betreuungsqualität in den Kitas beigetragen“.

Vor Einstellung hatte jede Alltagshelferin eine Hospitation in der Kita durchlaufen, wo sie später eingesetzt wurde, und konnte so auf persönliche Geeignetheit überprüft werden. Nach Einstellung war eine engmaschige Betreuung durch die Leitungen und eine Weiterbildung durch die BEP-zertifizierte pädagogische Fachberatung der Kreisstadt gegeben.

Da die Ausnahmeregelung beim Einsatz der Alltagshelferinnen wahrscheinlich zum 6. März ausläuft (Corona-Verordnung), stellt sich die Frage einer weiteren Nachhaltigkeit des Projektes. „Es sind 30 weiterhin als pädagogische Alltagshelferinnen in unseren Kitas tätig, derzeit befristet bis Juli bzw. August 2022.“ Bürgermeister Dr. Lang freut sich besonders, dass eine Gruppe der Alltagshelferinnen eine Ausbildung zur Erzieherin machen wollen. Immerhin 7 Personen können so in Ausbildungsverhältnisse übernommen werden.

Der Einsatz hat im Übrigen dazu gedient, den Menschen eine neue berufliche Perspektive in der Pandemie zu eröffnen. Die Helferinnen kamen aus ganz unterschiedlichen Ausbildungsberufen. Die Stadt legte Wert auf Mehrsprachigkeit, denn Kinder aus bis zu 17 Nationalitäten sind in den jeweiligen Einrichtungen.

Bürgermeister Dr. Lang kann sich gut vorstellen, dass das in der Pandemie und für die Pandemie geborene Projekt bei entsprechenden Rahmenbedingungen weitergeführt werden kann – im Sinne einer Sozialassistenz, die die fachpädagogische Arbeit in den Kindern unterstützt und die Betreuungszeit am Kind verbessert. „Wir wünschen uns, dass die Arbeit der Alltagshelfer/innen der letzten 1,5 – 2 Jahre für den Status einer Sozialassistenz Anerkennung findet“. 

Dr. Rauber verwies in diesem Zusammenhang auf das neue Bündnis für Fachkräftesicherung in Hessen. Die Versorgung mit Fachkräften ist auch angesichts des demografischen Wandels und seiner Folgen auf den Arbeitsmarkt eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zur Sicherung des Standortes Hessen. Hier könnten Impulse für eine notwendige Nachqualifizierung gegeben werden und ein differenzierter Blick auf die Arbeit, Aufgaben und Rollen in den Kindertagesstätten geworfen werden. Dr. Rauber sprach sich insbesondere dagegen aus, das Berufsfeld ausschließlich auf Kräfte mit akademischem Abschluss zu verengen.

Wie das Beispiel Dietzenbach zeigt, ist der Einsatz von multiprofessionalen Teams der Qualität nicht abträglich, im Gegenteil.

In der Validierung des Projektes zählt Dr. Lang die Vorteile des Einsatzes von Helferinnen auf:

  • Tatsächliche Besetzung der im Stellenplan ausgewiesenen Kita-Kontingente.
  • Spürbar weniger personalbedingter Ausfall von Betreuungszeiten.
  • Angebot von ausreichend Betreuungsplätzen, Rechtsanspruch kann eingelöst werden.
  • Steigerung der pädagogischen Qualität durch Freiräume für das Fachpersonal.
  • Deutlich verbesserte Rekrutierung von beruflichem Nachwuchs.
  • Berufsperspektiven für Menschen mit Migrationshintergrund und nichtlinearen Berufsbiografien.

 Wie es konkret nach der Befristung für beide weitergeht, steht noch nicht fest. Wie vieles in Pandemiezeiten. Einige der Alltagshelferinnen jedoch haben sich schon festgelegt und werden ab dem nächsten Schuljahr die berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin bei der Kreisstadt beginnen. Dr. Rauber berichtete, dass der Hessische Städte- und Gemeindebund an das Sozialministerium in Wiesbaden herangetreten ist, um eine Verstetigung, Anrechnung auf den Fachkräfteschlüssel und möglichst auch Mitfinanzierung zu erreichen. „Wenn wir den Rechtsanspruch wirklich einlösen wollen, sind wir auf den weiteren anrechnungsfähigen Einsatz von pädagogischen Alltagshelferinnen angewiesen“, so Bürgermeister Dr. Lang.

 

 

Mehr Kinder und mehr Betreuungsbedarf: Zahlen, Daten, Fakten – für ganz Hessen

 

2011

2016

2021

Veränderung in % 2021 zu 2011

in Tageseinrichtungen betreute Kinder

242.998

262.210

283.459

+16,7%

davon bis unter drei Jahren

33.491

50.120

56.588

+69,0%

Anzahl Tageseinrichtungen

3.950

4.187

4.382

+10,9%

pädagogisches Personal

35.435

45.220

53.462

+50,9%

Betreuung mit Mittagsverpflegung

152.990

182.498

207.644

+35,7%

Quellen: Hessisches Statistisches Landesamt, Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege in Hessen am 1. März 2011, 2016 und 2021