Der HSGB im Gespräch mit ....

Hier kommen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unserer Mitgliedskommunen zu Wort. Die Geschäftsführer des HSGB informieren sich vor Ort, um mit Bürgermeister/innen über aktuelle kommunalpolitische Themen zu sprechen.

Der HSGB im Gespräch mit ...

Die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge

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Steffen Müller (l.) mit Karl-Christian Schelzke im Wiesbadener Büro des HSGB

Mit Steffen MÜLLER vom Nordhessischen Verkehrsverbund diskutierte SCHELZKE über die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge. MÜLLER stammt im wahrsten Sinne des Wortes aus einer kommunalen Familie. Sein Vater Willi war von 1986 bis 2004 Bürgermeister der Gemeinde Wildeck.

Steffen MÜLLER hat an der Philipps-Universität Marburg Soziologe und Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie studiert. Bis 2011 war er zehn Jahre Gemeindevertreter und Kreistagsabgeordneter im Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Beruflich leitet er den Bereich Personal und Organisation beim Nordhessischen Verkehrsverbund NVV in Kassel.

Zunächst stellte MÜLLER die Funktion des Nordhessischen Verkehrsverbundes vor. Der NVV hat die Aufgabe, fünf Landkreise und die Großstadt Kassel verkehrstechnisch zu verknüpfen. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Aufgabenträgern im ÖPNV gilt es, die Mobilität der Menschen in Stadt und Land zu gewährleisten. Als "Regisseur" organisiert der NVV darum die Zusammenarbeit von mehr als 40 nordhessischen Verkehrsunternehmen mit der Stadt, dem Land und den Landkreisen. So entstand mit der Einführung des Verbundtarifs aus 43 Einzeltarifen ein einheitliches Tarifsystem für ganz Nordhessen.

Der NVV versteht sich als Dienstleistungszentrum. „Verbunden sein, wird bei uns gelebt!“, unterstreicht MÜLLER. Für Karl-Christian SCHELZKE, dem Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, hat das Bild des Verbundes auch Bedeutung für die Sicherung der Daseinsvorsorge. All zu schnell, und da sind sich beide Gesprächspartner einig, werden von den Bürgerinnen und Bürgern Ansprüche an den Staat formuliert. Der Staat muss für eine gute Infrastruktur sorgen. Aber ein gleichbleibendes Angebot in der Fläche wird immer teurer. Man muss nicht nur auf den demografischen Wandel verweisen. Auch die Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Allgemeingut nimmt ab. Stichworte sind hier Vandalismus in Zügen, das Schwarzfahren oder etwa der Umgang mit der eigenen Steuererklärung. Es fehlt der Sinn für das Gemeinvermögen: Es ist unser Bus, unsere Straßenbahn, unser Bad, etc.

Für Karl-Christian SCHELZKE liegt hier ein Pfund, mit dem insbesondere die ländlichen Gemeinden wuchern können. Denn die Identität mit dem eigenen Ort mit seinen vielfältigen Einrichtungen funktioniert in kleinen Gemeinden besser als in der anonymen Großstadt.

Aber: Um eine gesunde Basis, eine technische und soziale Infrastruktur in der Fläche zu erhalten, braucht es Geld. Die Verantwortlichen in Parlamenten, Regierungen und Organisationen konkurrieren für die Erhaltung der Daseinsvorsorge verstärkt um die Verteilung der weniger werdenden Mittel.

Eine den Bedürfnissen aller Landesteile entsprechende Verkehrsinfrastruktur benötigt einen funktionierenden und ausreichend finanziell ausgestatteten Staat. MÜLLER kritisiert in diesem Zusammenhang das derzeit diskutierte Maut-Modell. Die Unterstützer der Maut sehen als Argument für ihr Vorgehen die Möglichkeit, direkt die Verursacher des Verkehrs mit deren Kosten zu verbinden. Hierbei gäbe es, so MÜLLER, erhebliche administrative und rechtliche Probleme. Hinter der Maut stehe nichts anderes, als eine weitere durch den Geldbeutel steuerbare Teilnahme am Individualverkehr. „Der Allgemeinnutzer im Pkw darf nicht über eine Maut belastet werden, da hierüber auch der Zugang zur Straße geregelt würde. Das wäre ungerecht. Die meiste Zerstörung der Straßen wird durch Lkws produziert. Daher müssen diese auch mit einer Maut belastet werden. Um alle Straßenarten zu sichern und Schleichverkehre zu vermeiden, soll die Lkw-Maut nicht nur auf die Bundesstraßen, sondern auf das gesamte Straßennetz ausgedehnt werden. Somit käme die Lkw-Maut dann auch Ländern und Kommunen zugute“, so MÜLLER.

Die Verkehrsinfrastruktur dient den Interessen aller Menschen und ist daher existenzieller Teil der Daseinsvorsorge. Wer diese Aussagen teilt, muss für ausreichende Steuermittel sorgen. Ein gesunder Staat braucht jenseits aller Schuldenbremsen eine öffentlich und ausreichend finanzierte sowie intakte Infrastruktur, die von den Kommunen selbst ausgestaltet werden muss. Denn wenn der Staat losgelöst von der Lebensrealität vor Ort handelt, traut man ihm von der Basis her nicht zu, das Gemein-eigentum zu erhalten und zu sichern. „Die Verantwortlichen in unserem Staat müssen sich darüber klar werden, welchen Weg sie gehen wollen - entweder in Richtung des Nachtwächterstaates oder in Richtung eines gesunden, gestaltenden Staatswesens, dass seine Aufgaben nachkommen kann“, so MÜLLER.

Auch im Sinne einer funktionierenden lokalen Demokratie ist die ausreichende Finanzierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge aus Steuermitteln der einzige richtige und sozial gerechte Weg. Wenn die Bürgerinnen und Bürger wieder das staatliche und kommunale Gemeinwesen als das ihre ansehen, wird der direkte Zusammenhang von staatlichen und kommunalen Leistungen mit den erbrachten Steuermitteln deutlich. SCHELZKE verwies aus vergleichbaren Erfahrungen mit Bürgerprojekten: Was die Menschen vor Ort auch mit eigenem Einsatz geschaffen haben, das verteidigen und bewahren sie. Es bedarf eines neuen gesellschaftlichen Übereinkommens, wie das Gemeinwesen vor Ort zukunftssicher gemacht wird. Und der Staat hat hier die Chance, nicht als abstrakte Größe aufzutreten, sondern mit den Bürgerinnen und Bürgern im Dialog über eine angemessene finanzielle Ausstattung gemeindlicher Aufgaben zu ringen.