Fachinformationen Finanzen / Gemeindewirtschaftrecht

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Kommunale Grundrechtsklage gegen das Finanzausgleichsänderungsgesetz 2011

Auszug aus dem Tätigkeitsbericht des HSGB 2011 bis 2013

Wie in der letzten Mitgliederversammlung des Hessischen Städte- und Gemeindebundes in Alsfeld angekündigt, erhob u. a. die Stadt Alsfeld Ende 2011 eine kommunale Grundrechtsklage (die nach hessischem Landesrecht bestehende Entsprechung zur kommunalen Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht) zum Hessischen Staatsgerichtshof (StGH). Neben der Stadt Alsfeld fanden sich auch die Stadt Niedenstein und die Gemeinde Hofbieber jeweils mit Unterstützung der Geschäftsstelle individuell ausgearbeiteten Klagen bereit zur Klage gegen das bereits erwähnte Finanzausgleichsänderungsgesetz 2011.

Sie wollten die Unvereinbarkeit der Bestimmungen über die Veränderung der Berechnung der Steuerverbundmasse und der sogenannten Kompensationsumlage mit den Vorschriften der Verfassung des Landes Hessen über das Recht der Selbstverwaltung feststellen lassen. Hierzu mussten die klagenden Städte und Gemeinden angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte anderer Bundesländer in ähnlichen Verfahren eingehende Darlegungen ihrer eigenen Haushaltslage, einschl. der näheren Beschreibung von Einspar- und Einnahmeverbesserungsmaßnahmen, die bereits in eigener Verantwortung vorgenommen wurden, auf den Weg bringen. Die Geschäftsstelle arbeitete mit den betroffenen Verwaltungen der Mitgliedskommunen intensiv zusammen und bestritt die rechtliche Aufbereitung der Klage vollständig mit Bordmitteln.

Im Januar 2012 ließ der StGH den Verband als Beistand der Antragstellerinnen zu. In der Folgezeit kam es angesichts einer eher zögerlichen Sachbehandlung der Klageerwiderung durch die Landesregierung ab der 2. Jahreshälfte 2012 dann doch zu einer intensiven schriftsätzlichen Erörterung, wobei die Landesregierung im Wesentlichen Einwände gegen die Zulässigkeit der kommunalen Grundrechtsklage geltend machte.

Anfang 2013 terminierte der Staatsgerichtshof die Grundrechtsklage der Stadt Alsfeld zur mündlichen Verhandlung. Damit zeichnete sich ab, dass das Verfahren der Stadt Alsfeld als Musterverfahren für die ebenfalls anhängigen kommunalen Grundrechtsklagen von 12 vom Hessischen Städtetag betreuten Städten, die sich gegen die sogenannte Kompensationsumlage wandten, und die Klagen dreier Landkreise gegen das Finanzausgleichsänderungsgesetz 2011 herausschälte.

In der am 13.03.2013 stattgefundenen mündlichen Verhandlung nahm Geschäftsführender Direktor Schelzke und der damalige Bürgermeister der Stadt Alsfeld, Ralf-Alexander Becker, die Vertretung der Klage wahr und nahmen dabei insbesondere eingehend zu den erheblichen Beeinträchtigungen des kommunalpolitischen Lebens der Stadt durch die bereits getroffenen Einspar- und Einnahmeverbesserungsmaßnahmen Stellung. Das im Folgetermin am 21.05.2013 ergangene Urteil übertraf alle realistischerweise gehegten Erwartungen. Der Staatsgerichtshof erklärte antragsgemäß die Bestimmungen über die Kürzung der Steuerverbundmasse und die Einführung der Kompensationsumlage und – wegen des engen Sachzusammenhangs mit der Kompensationsumlage über den Antrag der klagenden Stadt Alsfeld hinausgehend – auch die Abschaffung des Grunderwerbsteuerzuweisungsgesetzes (von ihm hatten nur die Landkreise und kreisfreien Städte unmittelbar profitiert) für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen.

Die amtlichen Leitsätze der Entscheidung sprechen für sich: 

  1. Die Gemeinden haben einen aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht abgeleiteten Anspruch gegen das Land Hessen auf angemessene Finanzausstattung (Art. 137 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen - HV -).
  2. Die Garantie einer angemessenen Finanzausstattung verlangt jedenfalls, dass die Kommunen in der Lage sind, neben Pflichtaufgaben auch ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Über diese Mindestausstattung hinaus haben die Kommunen einen von der Finanzkraft des Landes abhängigen weitergehenden Anspruch auf Finanzausstattung.
  3. Die Aufgaben der Kommunen bilden den verfassungsrechtlichen Maßstab, der den Umfang der angemessenen Finanzausstattung bestimmt. Der Landesgesetzgeber kann seiner Verpflichtung zu einem aufgabengerechten Finanzausgleich nur nachkommen, wenn er die Höhe der zur kommunalen Aufgabenerfüllung notwendigen Finanzmittel kennt. Dies setzt eine Ermittlung des durch Aufgabenbelastung und Finanzkraft vorgezeichneten Bedarfs der Kommunen voraus. Die Bedarfsermittlungspflicht erstreckt sich auch auf den horizontalen Ausgleich, der unterschiedliche Bedarfslagen der kommunalen Gebietskörperschaften zu berücksichtigen hat.
  4. Der Landesgesetzgeber hat bei der von Verfassungs wegen erforderlichen Bedarfsanalyse Gestaltungs- und Einschätzungsspielräume. Er darf daher bei der Kostenermittlung pauschalieren und die ermittelten Ausgaben auf ihre Angemessenheit prüfen.
  5. Das Land Hessen hat den Finanzbedarf der Kommunen nicht ermittelt und ist damit den verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen an eine Finanzausgleichsentscheidung nicht gerecht geworden. Dies hat die Verfassungswidrigkeit der Veränderung der Steuerverbundmasse und die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Antragstellerin zur Folge.
  6. Der Landesgesetzgeber ist prinzipiell nicht gehindert, eine Kompensationsumlage einzuführen. Belastet er allerdings die Kommunen mit einer neuen Umlage, die ihre finanzielle Handlungsfähigkeit spürbar beeinträchtigt, muss er den kommunalen Finanzbedarf ermitteln, wobei er nach den kommunalen Gruppen der kreisangehörigen Gemeinden, kreisfreien Städte und Landkreise zu differenzieren hat.
  7. Die angegriffenen Vorschriften über die Einführung der Kompensationsumlage sind ebenfalls wegen des Fehlens einer Finanzbedarfsermittlung verfassungswidrig und verletzen das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin.
  8. Der kommunale Finanzausgleich ist spätestens für das Ausgleichsjahr 2016 neu zu regeln. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung bleibt das bisherige Recht anwendbar.

Wie in derartigen Fällen üblich, räumte das Gericht dem Gesetzgeber eine Übergangszeit ein, binnen derer eine verfassungskonforme Neuregelung erforderlich ist. Einstweilgen bleiben die verfassungswidrigen Bestimmungen also anwendbar. Spätestens ab 2016 muss allerdings ein neu und dann möglichst verfassungskonform bemessener Finanzausgleich in Kraft getreten sein.