Fachinformationen Vergaberecht

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LKW-Kartell: Aktueller Sachstand und weitere Informationen

 

Nachfolgend möchten wir über die aktuellen Entwicklungen sowie über Einzelaspekte zum LKW-Kartell informieren.

1. Beauftragung eines Schadensgutachtens

Der VKU sowie die kommunalen Spitzenverbände haben sich darauf verständigt, gemein-sam ein ökonometrisches Schadensgutachten zum LKW-Kartell zu beauftragen. Im Rahmen einer im November durchgeführten Auswahlsitzung haben verschiedene Gutachter ihre Konzepte und methodischen Überlegungen zur Erstellung eines solchen Gutachtens vorgestellt. Nach Auswertung der Konzepte sowie einer Prüfung der fachlichen Eignung haben sich die Verbände entschieden, das Gutachten durch das Büro Lademann & Associates, Hamburg, erstellen zu lassen.

Es ist beabsichtigt, allen interessierten Mitgliedsunternehmen sowie Städten, Kreisen und Gemeinden die Möglichkeit zu geben, die Gutachtenergebnisse für die weitere Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen sowie für etwaige außergerichtliche Verhandlungen mit den Kartellanten nutzbar zu machen. Wir weisen darauf hin, dass die Zurverfügungstellung der Gutachtenergebnisse nur gegen Kostenbeteiligung möglich sein wird. Da zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorausgesagt werden kann, wie viele Unternehmen bzw. Kommunen das Gutachten tatsächlich in Anspruch nehmen werden, kann noch keine verbindliche Aussage zur konkreten Höhe der Kosten getroffen werden. Da sich aber die Kostenbeteiligung auch an der finanziellen Betroffenheit der Unternehmen bzw. Kommunen orientieren wird, ist derzeit im Ergebnis von eher niedrigen Kosten im dreistelligen Eurobereich pro betroffenes Fahrzeug bzw. im vierstelligen Eurobereich je Unternehmen bzw. Kommune zu rechnen. Die Inanspruchnahme der Gutachtenergebnisse setzt ferner voraus, dass sich das jeweils interessierte Unternehmen bzw. die Kommunen an der Datenerhebung zur Erfassung der kartellbetroffenen Beschaffungsvorgänge nach Maßgabe des Gutachters aktiv beteiligen.

Die zur Gutachtenerstellung erforderlichen Datensätze sowie die konkrete Methodik der Datenerhebung werden derzeit zwischen dem Büro Lademann sowie den beteiligten Verbänden abgestimmt. Sobald die Abstimmung erfolgt ist und die technischen Voraussetzungen zur Datenerfassung (online-gestützte Datenbank) geschaffen wurden, werden wir Sie mit gesondertem Anschreiben unterrichten und die Voraussetzungen zur Datenerfassung im Einzelnen erläutern.

An dieser Stelle möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass gerade bei zeitlich länger zurückliegenden Beschaffungsvorgängen besondere Sorge getragen werden sollte, dass noch vorhandene Rechnungs-, Angebots- und Zahldaten nicht vorzeitig vernichtet werden. Hierzu zählen für Vergleichszwecke auch Angebote von Herstellern, die in einem Vergabeverfahren den Zuschlag nicht erhalten haben. Die erfolgreiche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen setzt zwingend das Vorhandensein derartiger Unterlagen voraus.

2. Welche LKW sind betroffen?

Angesichts der nach wie vor fehlenden Vorlage der Bußgeldbescheide durch die
EUKommission bleiben weiterhin verschiedene Einzelfragen zur Kartellbetroffenheit der beteiligten Unternehmen sowie auch der betroffenen Fahrzeugtypen offen. So wurde unter anderem mitgeteilt, dass die deutsche Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom
19. Juli 2016 fehlerhaft übersetzt wurde. In der Fassung vom 19. Juli 2016 hatte die Kommission zunächst veröffentlicht, dass von dem Kommissionsbeschluss insbesondere die Märkte für die Herstellung mittelschwerer („Nutzlast“ zwischen 6 und 16 Tonnen) und schwerer Lastkraftwagen („Nutzlast“ über 16 Tonnen) betroffen seien. In der – nach Angaben der Kommission bereits am 10. August 2016 – korrigierten Fassung der Pressemitteilung wurde das Wort „Nutzlast“ zwischenzeitlich gelöscht (vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP- 16-2582_de.htm). Danach sind jetzt folgende LKW betroffen: „Von dem heutigen Beschluss betroffen sind insbesondere die Märkte für die Herstellung mittelschwerer (*zwischen 6 und 16 Tonnen) und schwerer Lastkraftwagen (*über 16 Tonnen).“ In der englischsprachigen Originalfassung der Pressemitteilung heißt es: “Today's decision relates specifically to the market for the manufacturing of medium (weighing between 6 to 16 tons) and heavy trucks (weighing over 16 tons).” Nach derzeitigem Kenntnisstand muss somit davon ausgegangen werden, dass auf das zulässige Gesamtgewicht der jeweiligen LKW abzustellen ist. Dies hat zur Folge, dass leichtere Lastkraftwagen, die gemessen an ihrer Nutzlast von unter sechs Tonnen nicht von Preisabsprachen betroffen schienen, gemessen an ihrem zulässigen Gesamtgewicht die Grenze von sechs Tonnen überschreiten und deshalb auch die Anzahl kartellbetroffener Fahrzeuge zu-nehmen könnte. Für betroffene Unternehmen und Kommunen bedeutet dies, dass die ggf. schon durchgeführten Bestandsaufnahmen der Beschaffungsvorgänge zwischen 1997 und 2011 nochmals überprüft werden sollten.

3. Verjährung von Ansprüchen

Wie wir bereits in separaten Rundschreiben mitgeteilt haben, ist eine exakte Berechnung der Verjährungsfristen derzeit nicht möglich, da wichtige Informationen fehlen, die für eine Frist-berechnung maßgebend sind, etwa die konkrete Einleitung des Kartellverfahrens durch die EU-Kommission oder auch der Eintritt der Rechtskraft verhängter Bußgeldbescheide. Dar-über hinaus weisen wir nochmals darauf hin, dass die Fristberechnung wegen mehrerer Rechtsänderungen komplex und streitbehaftet ist. Insbesondere ist die Anwendung des § 33 Abs. 5 GWB auf Beschaffungsvorgänge vor 2005 strittig.

Entsprechend gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Verjährung. Wie bereits mitgeteilt kann nicht ausgeschlossen werden, dass Ansprüche aus Beschaffungsvorgängen zwischen 1997 und 2001 bereits im Laufe des Januar 2017 verjähren; nach anderer Ansicht droht die Verjährung erst Anfang 2018. Aus Gründen der Vorsicht empfehlen wir daher weiterhin,
bereits jetzt notwendige Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung zu ergreifen.

4. Einredeverzichtserklärung

Im Zusammenhang mit der Aufforderung an die kartellbeteiligten Unternehmen, einen schriftlichen Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu erklären, stellen sich in der Praxis verschiedene Fragen. Nachfolgend möchten wir daher Einzelaspekte noch einmal näher beleuchten:

a) Adressaten

Die Pressemitteilung der EU-Kommission benennt die an den Preisabsprachen beteiligten Unternehmen. Unklar bleibt indes, an welche Gesellschaften die Bußgeldbescheide konkret gerichtet waren. Eine genaue Bezeichnung dieser Gesellschaften ist wegen der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen und Verästelungen schwer. Der VKU und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände haben in ihren Rundschreiben im Oktober 2016 mögliche Adressaten der Bußgeldbescheide aufgelistet. Weiterreichende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor.

Wir empfehlen daher, etwaige Anschreiben zur Abgabe von Einredeverzichtserklärungen vorsorglich an die Konzernobergesellschaft und an die in den Rundschreiben als „Mögliche Adressaten der Entscheidung der Kommission“ aufgeführten Gesellschaften zu richten, mit denen Geschäftskontakt bestand. Wichtig: die Schreiben sind somit ausschließlich an die Hersteller und ggf. an die Vertriebsgesellschaften der LKW (Fahrgestellhersteller), nicht aber an die Hersteller etwaiger Aufbauten (so auch bei Feuerwehrfahrzeugen) zu adressieren.

Zum Konzern gehören regelmäßig verschiedene Rechtspersönlichkeiten, die jeweils nur für sich einen Einredeverzicht rechtswirksam erklären können. Es empfiehlt sich deshalb, die Schreiben möglichst weit zu streuen. Dabei sollten sämtliche Adressaten in dem jeweiligen Schreiben offengelegt werden. Darüber hinaus wird empfohlen, das Muster eines Einredeverzichtsschreibens um folgenden Satz zu ergänzen:

„Der Verzicht muss sich auf diejenigen Konzernunternehmen erstrecken, die an dem in der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016 (Case AT.39824 – TRUCKS) beschriebenen kartellrechtswidrigem Verhalten beteiligt waren.“

b) Dauer eines Verzichts

Im Muster der Verjährungsverzichtserklärung (siehe Rundschreiben der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände vom 10. November 2016) wird die Dauer des Verjährungsverzichts an die Bekanntgabe des Bußgeldbescheids durch die EU-Kommission geknüpft. Bislang hat die Kommission nur über den Versand der Bußgeldbescheide, nicht aber über deren Inhalt selbst informiert. Wir gehen davon aus, dass die Inhalte der Bußgeld-bescheide erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gemacht werden. Deshalb halten wir nach wie vor eine Anknüpfung an diesen Zeitpunkt für zielführend. Um Planungssicherheit zu bekommen, empfiehlt es sich, in etwaigen Musterschreiben folgende Ergänzung vorzunehmen:

„Ihr Verzicht soll sich bis zum Ablauf des sechsten Monats nach der allgemeinen Veröffentlichung der Inhalte des Bußgeldbescheids durch die Europäische Kommission, wenigstens aber bis zum 30. Juni 2018, erstrecken.“

Nach unseren Informationen erhalten die Kartellanten derzeit relativ viele Schreiben mit der Aufforderung, einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu erklären. Die Beantwortung der Schreiben verzögert sich deswegen anscheinend in verschiedenen Fällen. Wenn die gewünschte Erklärung nicht erteilt wird, kann – alternativ zur Erwirkung eines Mahnbescheids – mit überschaubarem Aufwand auch über die Einleitung eines Güteverfahrens gem. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB zumindest für einen Zeitraum eines weiteren halben Jahres eine
Hemmung der Verjährung erreicht werden.

c) Streichung des Wortes „Nutzlast“

Infolge der eingangs dargestellten Erkenntnisse sollte das Wort „Nutzlast“ in Anschreiben gestrichen werden.