EU-Dienstleistungskonzessionsrichtlinie: Privatisierung der kommunalen Trinkwasserversorgung
Auszug aus dem Tätigkeitsbericht des HSGB 2011 bis 2013
Der Hessische Städte- und Gemeindebund hat sich im Hinblick auf die mit der Umsetzung der EU-Dienstleistungskonzessionsrichtlinie beabsichtigten europaweiten Ausschreibungen der Trinkwasserversorgung gegenüber der Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel und dem federführenden EU-Kommissar, Herrn Michel Barnier ausdrücklich und in Übereinstimmung mit den jeweiligen Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände des Bundes für die Herausnahme der Wasserversorgung aus der EU-Konzessionsrichtlinie ausgesprochen und einen Wegfall dieser Regelung gefordert. Die beiden Schreiben haben nachfolgenden Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
wie bereits seitens der kommunalen Spitzenverbände auf der Bundesebene und dem Verband kommunaler Unternehmen e.V. geschehen, wenden auch wir uns als kommunaler Spitzenverband für die hessischen kreisangehörigen Städte und Gemeinden mit der dringenden Bitte an Sie, dass sich die Bundesregierung für die Herausnahme der kommunalen Wasserwirtschaft aus dem Anwendungsbereich der EU-Dienstleistungskonzessionsrichtlinie, die als Entwurf vorliegt, einsetzt.
Die durch die Europäische Kommission vorgelegte Richtlinie untergräbt die kommunalwirtschaftlichen Strukturen der Wasserwirtschaft, die in der Bevölkerung hohe Anerkennung genießen. Zwar spricht der Richtlinienentwurf in seinen Erwägungsgründen davon, dass die kommunale Gestaltungsfreiheit beachtet werden soll. Tatsächlich aber wird diese kommunale Gestaltungsfreiheit insbesondere aufgrund der sehr eng gefassten Ausnahmeregelungen zur Inhouse-Vergabe, zur interkommunalen Zusammenarbeit und zu den Stadtwerken für sehr viele Kommunen in Deutschland massiv eingeschränkt bzw. sogar beseitigt. Die europaweite Ausschreibungsverpflichtung von Wasserkonzessionen würde daher sehr stark ausgeweitet. Dagegen konnte auch der Einsatz der deutschen Abgeordneten im Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments bisher nur graduell etwas ändern. Die dort verhandelten geringen Nachbesserungen gegenüber dem Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission ändern an der Gesamteinschätzung nichts. Vielmehr wurde durch das Abstimmungsergebnis deutlich, dass das deutsche Modell der kommunalen Selbstverwaltung und Organisationsfreiheit auch in Kernbereichen der Daseinsvorsorge, wie zum Beispiel der Wasserversorgung, nach wie vor europaweit keine ausreichende Beachtung findet. Die dezentral und kommunal auf hohem Qualitätsniveau verantwortete Wasserwirtschaft in Deutschland bleibt daher bei den europäischen Rechtssetzungs-akten unberücksichtigt.
Wie appellieren daher an Sie, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, dass die kommunale Wasserwirtschaft aus dem Anwendungsbereich des EU-Richtlinien-entwurfs herausgenommen wird. Nur so kann das lokal verantwortete, durch kommunale Entscheidungsträger im Interesse der Bürgerinnen und Bürger vor Ort gestaltete und in aller Regel auch durch kommunale Einrichtungen und Unternehmen erbrachte Erfolgsmodell der deutschen Wasserwirtschaft auch zukünftig Bestand haben.
Mit diesen Forderungen wissen wir uns nicht nur mit den Bundesländern und einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung in guter Gesellschaft. Sie ist außerdem die durch entsprechende Beschlüsse dokumentierte Position nahezu aller im Bundestag vertretenen Parteien. Diese Positionierungen spiegeln sich auch weitestgehend in dem Abstimmungsverhalten deutscher EU-Abgeordneter im Binnenmarktausschuss wider.
Sehr geehrter Herr Barnier,
der Richtlinienentwurf zur Konzessionsvergabe ist sowohl auf Seiten der kommunalen Spitzenverbände als auch der Industrieverbände und der Gewerkschaften auf Ablehnung gestoßen. Die europäische Bürgerinitiative „Wasser ist Menschenrecht“ hat zwischenzeitlich das erforderliche Mindestquorum an Unterschriften erreicht mit der Folge, dass die EU-Kommission sich mit dem Anliegen befassen muss.
Auch der Hessische Städte- und Gemeindebunde als kommunaler Spitzenverband für die hessischen kreisangehörigen Städte und Gemeinden lehnt den Inhalt des Richtlinienentwurfs ab und fordert die Herausnahme zumindest der Wasserversorgung aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie.
Die Wahlfreiheit der Kommunen, eine Leistung selber zu erbringen oder an Dritte zu vergeben, würde im Hinblick auf die Trinkwasserversorgung mit der Verabschiedung des Richtlinienvorschlags erheblich eingeschränkt.
Stadtwerke in Deutschland könnten die Bedingungen für die Ausnahmeregelung für verbundene Unternehmen in Art. 11 des Richtlinienentwurfs nicht erfüllen. Ein Stadtwerk erzielt grundsätzlich nicht mindestens 80 % seines Umsatzes mit Dienstleistungen, die es für seine Eignerkommune, von der es die Wasserkonzession erhält, erbringt (Art. 11 Abs. 4 Buchst. a). Der Prozentsatz liegt in aller Regel deutlich unter 20 %. Das liegt daran, dass Stadtwerke in Deutschland traditionell als Mehrspartenunternehmen aufgebaut sind. Neben der Trinkwasserversorgung zählt vor allem auch die Energieversorgung zu den von ihnen erbrachten Dienstleistungen. Dabei übertrifft der Umsatz, der mit der Energieversorgung erzielt wird, den Umsatz bei der Wasserversorgung um ein Mehrfaches. Die Energieversorgung ist aber keine Dienstleistung, die ein Stadtwerk im Sinne des Art. 11 für seine Eignerkommune erbringt. Da die Energieversorgung liberalisiert wurde und der Kunde sich seinen Versorger in Folge dessen frei wählen kann, erbringt das Stadtwerk diese Dienstleistung nicht mehr für die Bürger seiner Eignerkommune, sondern für die Kunden, die es als seinen Versorger wählen (so mittlerweile die Argumentation mehrerer deutscher Oberlandesgerichte).
Aus denselben Gründen könnten die Stadtwerke aber auch nicht vom sog. In-house-Privileg des Art. 15 Richtlinienentwurfs profitieren. Das „Wesentlichkeitskriterium“ in Abs. 1 Buchst. b wäre für sie ebenfalls nicht erfüllbar. Dies gilt selbst dann, wenn sich das Stadtwerk wie in der Mehrzahl der Fälle, vollständig in kommunalem Eigentum befindet (Abs. 1 Buchst. c).
Auch die für die Wasserversorgung in ländlichen Regionen vorherrschende und bewährte Organisationsform der interkommunalen Zusammenarbeit wäre nur noch unter engen Ausnahmeregelungen ausschreibungsfrei möglich. Damit wäre diese bewährte Form der Kooperation zum Scheitern verurteilt. Auch die in einigen Teilen Deutschlands bestehende Regelung der gesetzlich verpflichtenden Beteiligung von Privaten an Wasserwirtschaftsverbänden würde in Frage gestellt.
Eine strukturverändernde Regelung des deutschen Wasserregimes wird aus Sicht der kommunalen Wasserwirtschaft und der kommunalen Spitzenverbände und auch des Hessischen Städte- und Gemeindebundes weiterhin abgelehnt. Das Vorsehen von Übergangsfristen, die als Kompromiss im Parlament diskutiert wurden, würde an diesem Sachverhalt nichts grundsätzlich ändern, sondern den Eingriff in bewährte Strukturen lediglich verzögern. Daher muss, wenn die Richtlinie nicht abgelehnt wird, zumindest die Wasserwirtschaft aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen werden.
Die vorgesehenen europaweiten Ausschreibungen der Trinkwasserversorgung sind aus der EU-Konzessionsrichtlinie herausgenommen worden. Dazu hat der EU-Kommissar Herr Michel Barnier dem Hessischen Städte- und Gemeindebund folgendes Schreiben übermittelt:
Sehr geehrter Herr Direktor Backhaus,
Sie haben sicherlich in der Presse vom erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zur Konzessionsrichtlinie gelesen. Sie hatten mir während der Verhandlungen geschrieben und Ihren Standpunkt zum Thema Wasser dargelegt. Ich habe Ihr Schreiben mit großer Aufmerksamkeit gelesen und es selbstverständlich in den Verhandlungen berücksichtigt. Nun, da das Europäische Parlament und der Rat eine umfassende Einigung erzielt haben, möchte ich Ihnen das erzielte Ergebnis näher erläutern.
Seit mehreren Monaten kursierten Gerüchte, die Europäische Kommission versuche, durch die Hintertür mittels ihres Vorschlages zur Konzessionsrichtlinie die Wasserversorgung zu privatisieren. Dies war nie unsere Absicht, und es stimmt auch nicht. Zu keinem Zeitpunkt hat die Kommission vorgeschlagen, die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wie der Wasserversorgung zu erzwingen oder zu fördern. Die Mitgliedstaaten und ihre Städte und Gemeinden entscheiden, wie öffentliche Dienstleistungen erbracht werden sollen, und sie werden dies weiterhin tun.
Während der gesamten Verhandlungen zur Konzessionsrichtlinie habe ich mich bemüht, den Wortlaut des Gesetzestextes noch klarer zu gestalten, um den Bürgerinnen und Bürgern und den öffentlichen Auftraggebern unmissverständlich zu verdeutlichen, dass weder die Wasserversorgung noch irgendein anderer Sektor privatisiert wird. Trotz der zahlreichen Änderungen am Richtlinienvorschlag und aller Beiträge der politischen Parteien im Europäischen Parlament und vom Rat stellte der Text zur Wasserversorgung letztlich niemanden zufrieden. Er war in den Augen der Bürgerinnen und Bürgern nicht hinreichend eindeutig und barg die Gefahr, zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts zu führen. Deshalb erwies es sich als die beste Lösung, die Wasserversorgung vom Anwendungsbereich der Konzessionsrichtlinie auszunehmen.
Die Verhandlungen im Parlament und im Rat, die den Bedenken der Öffentlichkeit Rechnung getragen haben, haben letztlich zu einem sehr guten Ergebnis geführt. Der Kompromiss zur Konzessionsrichtlinie ist ausgewogen und verwirklicht die Ziele, die die Kommission mit ihrem ursprünglichen Vorschlag erreichen wollte. Die Richtlinie gewährleistet Transparenz und Gleichbehandlung und schafft mehr Rechtssicherheit für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen in ganz Europa. Sie sorgt dafür, dass der Binnenmarkt Wirklichkeit wird und dient damit den Interessen aller europäischen Bürgerinnen und Bürger.