Fachinformationen "Starke Heimat Hessen"

Der Vorschlag für das Landesprogramm "Starke Heimat Hessen" wird kontrovers diskutiert. Informationen und Positionen aus kommunaler Sicht gibt es hier.

Starke Heimat Hessen – Gesetzentwurf liegt vor

Trotz vielfältiger kommunaler Kritik ist nun der Entwurf des Gesetzes über das Programm „Starke Heimat Hessen“ in den Hessischen Landtag eingebracht (Landtagsdrucksache – LT-Drucks. 20/784). Damit tritt das Ende Mai der Öffentlichkeit vorgestellte Projekt (wir berichteten verschiedentlich per Mitgliederrundmail) in eine neue Phase.

  1. Bestandteile des Gesetzentwurfs

Der Entwurf des Gesetzes über das Programm „Starke Heimat Hessen“ (folgend: Entwurf, in der in LT-Drucks. 20/784 veröffentlichten Fassung) enthält insgesamt vier Artikel. Art. 1 bildet das Gesetz über die Heimatumlage (folgend: HeimatumlageG-E), Art. 2 eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG), Art. 3 beinhaltet eine – lediglich klarstellende – Änderung des Hessenkassegesetzes und Art. 4 regelt das Inkrafttreten einen Tag nach der Verkündung.

  1. Mittelaufbringung durch die Heimatumlage

Nach § 1 Abs. 1 HeimatumlageG-E ist unter dem Aspekt der Mittelaufbringung die Erhebung einer Heimatumlage von den Gemeinden vorgesehen, und zwar mit der Maßgabe, dass diese nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 GFRG erfolgt und der Umlagesatz 21,75 Prozent beträgt. Die im Ausgleichsjahr von den Gemeinden abgeführte Heimatumlage fließt nach § 2 HeimatumlageG-E der Finanzausgleichsmasse gem. § 5 FAG zu und wird über Schlüsselzuweisungen, Besondere Finanzzuweisungen und Investitionszuwendungen an die Gemeinden verteilt.

  1. Mittelverteilung

Die in Art. 2 enthaltenen Änderungen des FAG betreffen Aspekte der Mittelverteilung und sehen durch Änderung von §§ 21 und 27 FAG vor, dass bei der Ermittlung der Steuerkraftzahlen die Heimatumlage abgezogen wird.

Des Weiteren werden zwei bisher nicht geregelte Verwendungszwecke vorgesehen.

In § 44a FAG-E sollen Pauschalzuweisungen an die Schulträger für Verwaltungskapazitäten im Schulbereich geregelt werden. Zur Verteilung der Mittel sieht § 44a Satz 1 FAG-E a.E. vor, dass diese sich nach dem Anteil des Schulträgers an der Gesamtschülerzahl aller Schulträger errechnen.

Als weiterer Verwendungszweck soll durch Einfügung eines § 44b FAG die Möglichkeit geschaffen werden, dass Gemeinden und Gemeindeverbände für Maßnahmen der Digitalisierung Zuweisungen aus den im Haushaltsplan des Landes hierfür bereitgestellten Mitteln von der für Digitale Strategie und Entwicklung zuständigen obersten Landesbehörde erhalten; die Zuweisungen können auch zur Weiterleitung an Dritte bewilligt werden.

Die weiteren Förderbereiche Kinderbetreuung, ÖPNV und Krankenhäuser werden im Gesetzentwurf nicht besonders behandelt; insofern verweist der Gesetzentwurf auf die Dotierung im Landeshaushalt (LT-Drucks. 20/784 S. 2).

  1. Was das für die Gemeinden finanziell ändert

Nach § 6 des Gemeindefinanzreformgesetzes (GFRG) führen die Gemeinden aus dem Gewerbesteueraufkommen eine Umlage an das zuständige Finanzamt ab, deren Höhe sich nach einem Bundes- und einem Landesvervielfältiger errechnet (§ 6 Abs. 1 und 2 GFRG). Für die Jahre 2010 bis 2019 sieht § 6 Abs. 3 GFRG u.a. vor, dass in den westlichen Bundesländern der Landesvervielfältiger gegenüber den für die neuen Bundesländer geltenden Landesvervielfältiger um 29 Punkte erhöht ist; für die westlichen Bundesländer wird der Landesvervielfältiger nach dem 31.12.2019 um 29 Punkte abgesenkt (§ 6 Abs. 3 Satz 4 und 5 GFRG). Nach Bundesrecht würden die Gemeinden damit ab 1. 1. 2020 mehr von „ihrer“ Gewerbesteuer behalten.

Statt einer Entlastung um 29 Vervielfältigerpunkte ergäbe sich mit dem gesetzlichen Eingriff des Landes nurmehr ein Selbstbehalt von 7,25 Punkten. Die restliche Entlastung würde das Land über die Heimatumlage einsammeln. Zwei Drittel dieser Entlastung würden projektezogen ausgeschüttet, ein Drittel die Schlüsselzuweisungen verstärken:

 Bundesgesetzliche Entlastung aus dem Wegfall der erhöhten Gewerbesteuerumlage

(29 Punkte sinkt nach GFRG der Vervielfältiger der Gewerbesteuerumlage ab 2020) 

 

25% (=7,25 Punkte)

Selbstbehalt der Städte und Gemeinden

 

 

 „Starke Heimat Hessen“ 

Förderprogramm (50% = 14,5 Punkte)

-       Stärkung der Kinderbetreuung,

-       höhere Krankenhausinvestitionen,

-       Verwaltungskräfte im Schulbereich (zwecks Entlastung des Lehrpersonals von Verwaltungsaufgaben),

-       Öffentlichen Personennahverkehr und Nahmobilität sowie

-       Digitalisierung in Kommunen

25% (= 7,25 Punkte)

Stärkung der Schlüsselmasse

 

 

 

Einen Überblick über die in der jeweiligen Stadt bzw. Gemeinde in Rede stehenden Mittel hatten wir bereits per Rundmail am 28. Mai mitgeteilt. Die Übersicht kann aber auch hier abgerufen werden.

Das Hessische Ministerium der Finanzen (HMdF) hat mit einem Rundschreiben an die Kommunen am 19. 6. 2019 Modellberechnungen zu möglichen gemeindescharfen Auswirkungen der „Starken Heimat“ mitgeteilt. Allerdings räumte das Ministerium in dem Schreiben selbst ausdrücklich ein, dass diese Ergebnisse so mit Sicherheit nicht eintreffen werden. Zudem sind die zu Grunde gelegten Annahmen nicht transparent.

  1. Und wenn das Land kein Gesetz erlässt?

Erlässt das Land kein Gesetz, sinkt der Gesamtvervielfältiger der Gewerbesteuerumlage von 64 Punkten (2019) auf 35 Punkte (2020). Das hat folgende Auswirkungen:

  • Ab 1. 1. 2020 sinkt nach Bundesgesetz der Vervielfältiger der Gewerbesteuerumlage sofort von 64% auf 35%. Entsprechend weniger haben die Gemeinden aus ihrem Gewerbesteueraufkommen an Bund (dann 14,5%) und Land (dann 20,5%) abzuführen. Das verbessert die Kassenlage aller Städte und Gemeinden unmittelbar.
  • Dadurch steigt dann allerdings die Finanzkraft der Gemeinden mit der Folge, dass in den Folgejahren ab 2021
  • Gewerbesteuerstärkere Kommunen relativ weniger Schlüsselzuweisungen erhalten und mehr Kreis- und Schulumlage zahlen und sehr gewerbesteuerstarke Kommunen erstmals oder mehr Solidaritätsumlage zahlen.
  • Gewerbesteuerschwächere Kommunen erhalten dann relativ mehr Schlüsselzuweisungen.

Eigene Berechnungen unserer Geschäftsstelle zeigen, dass im kreisangehörigen Bereich wegen der beschriebenen Effekte eine um rund 200 Mio. € geringere Gewerbesteuerumlagebelastung positive Effekte für sämtliche Städte und Gemeinden hat.

  1. Befassung der Verbandsgremien

Wie bereits vorab per Mitgliederrundmail berichtet, haben sich Präsidium und Hauptausschuss gegen die Heimatumlage ausgesprochen. Die erhöhte Gewerbesteuerumlage war im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit befristet vorgesehen und führte zu erheblichen Belastungen der kommunalen Haushalte. Daher wird eine Fortführung abgelehnt. Die Position lautet aufgrund der Befassung von Präsidium (6. 6. 2019) und Hauptausschuss (27. 6.) wie folgt:

Das Präsidium des Hessischen Städte- und Gemeindebundes lehnt das Landesprogramm „Starke Heimat Hessen“ einstimmig ab. Bei den durch den Wegfall der erhöhten Gewerbesteuerumlage freiwerdenden Mitteln handelt es sich um kommunales Geld, das uneingeschränkt bei allen Kommunen zu verbleiben hat.“

  1. Gewerbesteuer – wieso gibt es die nochmal?

Die Gewerbesteuer ist nach wie vor eine bedeutende kommunale Einnahmequelle. Sie vermittelt den Gemeinden keinen irgendwie unverdienten Reichtum, sondern dient der Abgeltung realer Lasten, die in erster Linie von Gewerbebetrieben verursacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat es so beschrieben (BVerfG, Urt. v. 15. 1. 2008 Az. 1 BvL 2/04 – juris Rn. 102):

„Große Gewerbebetriebe mit einer hohen Zahl von Beschäftigten und einem erheblichen Einsatz von Produktionsmitteln verursachen einen höheren Bedarf an Infrastrukturleistungen, etwa in Form der Ausweisung und Erschließung von Gewerbegebieten oder der Bereitstellung von Wasser, Abwasser, Energie, Straßen und öffentlichem Nahverkehr, als dies bei freien Berufen typischerweise der Fall ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Leistungen vollständig durch kommunale Gebühren und Beiträge abgedeckt werden.“

Tatsächlich lösen Gewerbebetriebe einen erheblichen und nicht anderweitig finanzierbaren Aufwand für kommunale Leistungen im Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb und der dort beschäftigten Arbeitnehmerschaft aus. Über die bereits vom BVerfG identifizierten Bereiche hinaus führen insbesondere Ausstattungsvorgaben im Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes sowie mit Blick auf die Arbeitnehmer Aufgaben wie die Schulträgerschaft und die Kinderbetreuung zu Haushaltsbelastungen, die letztlich mit dem Gewerbebesatz einer Gemeinde zusammenhängen.

  1. Verfassungswidrigkeit des Gesetzesvorhabens

Für die Mittelaufbringung im Wege der Heimatumlage wird in der Gesetzesbegründung geltend gemacht, dass das Land in den Orientierungsdaten für die Finanzplanung die Weiterführung der Einnahmen aus der Gewerbesteuerumlage auch nach 2019 angekündigt habe, um eine angemessene Einnahmeverteilung im Verhältnis zwischen Land und Kommunen zu gewährleisten. Mit dem Programm Starke Heimat Hessen würden diese Mittel aber nunmehr an die Kommunen ebenso weitergegeben wie zusätzliche Bundesmittel für die Kinderbetreuung und Krankenhausinvestitionen. Mit dem Programm Starke Heimat Hessen erfolge eine finanzkraftunabhängige Finanzierung wichtiger kommunaler Maßnahmen (LT-Drucks. 20/784 S. 9).

Die Geschäftsstelle hat neben den finanziellen und inhaltlichen Auswirkungen auch intensiv geprüft, ob eine derartige Regelung wie zur Heimatumlage und der Verwendung ihres Aufkommens überhaupt getroffen werden dürfte. Nach dem Ergebnis dieser Prüfung bestehen da erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. So darf laut Grundgesetz nur der Bund Regelungen zur Gewerbesteuerumlage treffen. Den Ländern sind andere Umlagen, die auf das Aufkommen aus den Gemeindeanteilen an Einkommen- und Umsatzsteuer sowie die Grundsteuern A und B und die Gewerbesteuer zugreifen, möglich.

Diese Möglichkeit hat das Land Hessen mit den Regelungen zu Solidaritäts-, Kreis- und Schulumlage aber bereits intensiv genutzt. Zudem ist es verfassungsrechtlich problematisch, den Gemeinden Mittel durch Landesgesetz vorzuenthalten, die ihnen nach Bundesrecht zustehen. Die Einzelheiten dieser Aspekte sind auch in einem Aufsatz in der Hessischen Städte- und Gemeindezeitung vom Juni 2019 vertiefend dargestellt.

  1. Informationen im Internet

Das Hessische Ministerium der Finanzen (HMdF) hat in seiner Internetpräsenz finanzen.hessen.de in der Rubrik Finanzen / Starke Heimat eine eigene Informationsmöglichkeit geschaffen. Informationen aus kommunaler Sicht gibt es auf unserer Internetseite hsgb.de in der Rubrik Fachinformationen / Finanzen und Gemeindewirtschaftsrecht / „Finanzen Gemeindewirtschaftsrecht aktuell“.

Wir bitten um Kenntnisnahme.

Anlagen
Website-Modellrechnung Gewerbesteuerumlage

Website-Präsidium 06.06.2019 TOP I.5 Tischvorlage Gewerbesteuerumlage